Abschaffung der staatlichen Bekenntnisschulen: Senkung der Quoren kann nur der erste Schritt sein!

Beschluss der Mitgliederversammlung vom 11.01.2015

Säkulare Grüne NRW fordern:

Abschaffung der staatlichen Bekenntnisschulen:
Senkung der Quoren kann nur der erste Schritt sein!

Im Juni beschlossen die GRÜNEN NRW, „dass die Bekenntnisgrundschulen in Gemeinschaftsgrundschulen umgewandelt werden [sollen]. Nur in NRW und Niedersachsen sind die Bekenntnisgrundschulen noch in der Verfassung verankert. Wir GRÜNE in NRW wollen das Schulgesetz ändern und Mehrheiten für eine Verfassungsänderung suchen.“ Mehr: http://siegburg2014.gruene-ldk.de/files/2014/06/Beschluss-V-5-Grundschule-f%C3%BCr-alle-Kinder.pdf

Im Dezember brachten die Regierungsfraktionen SPD und GRÜNE den – mit den beiden großen Kirchen abgestimmten – Entwurf zum 11. Schulrechtsänderungsgesetz in den NRW-Landtag ein. Die Neuregelung des Schulgesetzes soll die Umwandlung öffentlicher Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen erleichtern. Es sieht nämlich die Absenkung der Quoren für die Umwandlung von staatlich vollfinanzierten Bekenntnisgrundschulen vor: 10% (statt bisher 20) der Erziehungsberechtigten (und auch der Schulträger) werden in Zukunft die Umwandlung in eine Gemeinschaftsgrundschule beantragen können; 50% (statt bisher 67) müssen dafür stimmen, damit dies tatsächlich geschieht. Darüber hinaus sollen zukünftig auch Lehrkräfte an dieser Schulart unterrichten können, die dem Schulbekenntnis nicht angehören.

Damit reagiert die Landespolitik darauf, dass sich rund um Bekenntnisgrundschulen in den vergangenen Jahren vielfach Konflikte entzündet haben: Dabei ging es um das Thema der Aufnahme wohnortnaher Schülerinnen und Schüler, die nicht dem Schulbekenntnis angehören; um die Verpflichtung, an öffentlichen Bekenntnisschulen an Religionsunterricht und Gottesdiensten teilzunehmen; und um die Anstellungs­möglichkeiten nichtreligiöser Lehrkräfte oder solcher mit
anderem Bekenntnis.

Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir hoffen, dass Eltern diese niedrigeren Zustimmungsquoten nutzen werden.

Wir sind gleichwohl von dem Gesetzentwurf enttäuscht, denn die Hauptsachen bleiben noch zu tun:

A) Grund- und Hauptschulen
Auch nach der Verabschiedung dieser kleinen Reform stellt dass Gesetz nicht die Gleichbehandlung von Grund- und Hauptschulen sicher. Es bleiben Unterschiede zwischen Grund- und Hauptschulen bei der Zustimmungsquote bestehen. Bei der Grundschule wird die Quote zwar niedriger als bisher, aber immer noch höher als bei der Hauptschule liegen. Denn bei den Bekenntnishauptschulen gilt schon lange, dass ein Drittel der Stimmen aller Eltern genügt, um die Schulen in Gemeinschaftsschulen umzuwandeln. Genau dieses niedrigere Quorum hätten wir uns auch in Bezug auf die Grundschulen gewünscht. Ein Beispiel: Selbst wenn 70% aller Eltern an einer Abstimmung teilnehmen und sich davon wiederum 70% für eine Umwandlung aussprechen sollten, genügt das nicht, um die Schule umzuwandeln.

B) Konfessionelle Homogenität
Auch nach der Verabschiedung dieser kleinen Reform bleibt es bei der grundsätzlich konfessionell homogenen Prägung öffentlicher Schulen.Weiterhin müssen Eltern die unselige Bekenntniserklärung unterschreiben, wenn sie ihrem Kind den Besuch der nächstgelegenen Grundschule ermöglichen wollen. Damit geben sie das Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht wie auch das grundgesetzlich verbriefte Recht auf entsprechenden Unterricht im eigenen Bekenntnis an der Schulpforte ab bzw. müssen es auf dem Rechtsweg erstreiten. Diese Einschränkung von Grundrechten an öffentlichen Einrichtungen ist in einer religiös zunehmend pluralistischen Gesellschaft höchst problematisch, was übrigens auch durch die hohe Zahl an Verwaltungsgerichtsverfahren zu dieser Problematik in den letzten Jahren unterstrichen wird.

C) Lehrkräfte
Auch nach der Verabschiedung dieser kleinen Reform stellt das Gesetz nicht sicher, dass an allen öffentlichen Schulen die fachliche Qualifikation das Hauptkriterium bei der Besetzung von Lehrer/innenstellen und Leitungspositionen ist. Es wird weiter eine sehr problematische religiös begründete Diskriminierung von Lehrkräften geben. Nach der neuen Regelung soll es in Ausnahmefällen “zur Sicherung des Unterrichts” möglich sein, dass bekenntnisfremde Lehrkräfte dort unterrichten. Es wird dann aber von ihnen verlangt, dass sie “nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichten und erziehen”. Man muss es ganz klar sagen: Artikel 3 (“Niemand darf wegen […] seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.”) und 4 des Grundgesetzes (“Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.”) gelten in Teilen von Nordrhein-Westfalen für Grund- und Hauptschullehrkräfte weiterhin nicht.

D) Schüler*innen
Auch nach der Verabschiedung dieser kleinen Reform stellt das Gesetz nicht sicher, dass alle Kinder unabhängig von Glaube und Herkunft ein Aufnahmerecht an der nächstgelegenen öffentlichen Grundschule erhalten!
Auch bezüglich der Schüler*innen löst dieser Gesetzentwurf keines der Probleme. Im Schnitt gehören an katholischen Grundschulen nur 56% der Kinder dem Bekenntnis an, an evangelischen sogar nur 43%, das hat mit der ursprünglichen Idee der konfessionell homogenen Schule nichts mehr zu tun.
Im Juni hat der Münsteraner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Hinnerk Wißmann im Landtag NRW dargelegt, dass alle staatlichen Schulen – also auch staatliche Bekenntnisschulen – unmittelbar an das Grundgesetz gebunden sind und verpflichtet sind, die individuelle Vielfalt von Schülerinnen und Schüler zu achten und zu fördern.

E) Religionsunterricht
Auch nach der Verabschiedung dieser kleinen Reform stellt das Gesetz nicht sicher, dass Kinder an öffentlichen Schulen keinen Religionsunterricht in einem Bekenntnis besuchen müssen, dem sie nicht angehören.
Explizit hat Wißmann dargelegt, dass es nicht haltbar ist, wenn das Grundrecht auf Religionsunterricht im eigenen Bekenntnis und auf Abmeldung vom Religionsunterricht an dieser Schulart keine Geltung hat. Selbst an Schulen in kirchlicher Trägerschaft wird heute übrigens selbstverständlich Religionsunterricht in anderen Bekenntnissen erteilt.

Die Politik möchte mit der Gesetzesinitiative ihrem Auftrag aus der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen nachkommen: In Artikel 8 wird dort ausdrücklich gefordert, „dass das Schulwesen den kulturellen und sozialen Bedürfnissen des Landes entspricht“. Das Verwaltungsgericht Minden hat in einem Beschluss vom August 2013 (8 L 538/13) im Zusammenhang mit der Ablehnung eines muslimischen Kindes an einer katholischen öffentlichen Bekenntnisgrundschule wie folgt auf diese Verpflichtung hingewiesen: „Letztlich ist es vorrangige Aufgabe der politischen Entscheidungsträger, gesetzliche Bestimmungen ggf. dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen und die Normen mit der Wirklichkeit wieder in Einklang zu bringen.”

In der Tat entsprechen im Fall der staatlichen Bekenntnisschulen die Normen schon lange nicht mehr der gesellschaftlichen Realität in Nordrhein-Westfalen. Ein Drittel aller öffentlichen Grundschulen sind bekenntnisgebunden, obwohl an den wenigsten von ihnen eine große Mehrheit in der entsprechenden Konfession getauft ist. Nach den amtlichen Schul­daten für das Schuljahr 2012/2013 gehörten zu diesem Zeitpunkt an 54 evangelischen und an 263 katholischen Bekenntnisgrundschulen in öffentlicher Trägerschaft weniger als 50 % der Schülerinnen und Schüler dem jeweiligen Schulbekenntnis an. In 81 Gemeinden gab es ausschließlich Bekenntnisgrundschulen.

Wir brauchen weiterhin eine grundsätzliche Lösung: die Abschaffung der Bekenntnisschulen!

Bis heute legitimiert der Verfassungsrang der Bekenntnisschulen in Nordrhein-Westfalen die Diskriminierung von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern nach religiösen Kriterien an öffentlichen Einrichtungen, die von allen Bürgern gezahlt und getragen werden. Angesichts einer zunehmenden Säkularisierung und gleichzeitig einer stärkeren religiösen Pluralität entsteht durch die Aufrechterhaltung von Bekenntnisschulen in staatlicher Trägerschaft zunehmend ein Spannungsverhältnis zu zentralen Artikeln des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, die nicht nur den beiden großen Kirchen, sondern auch anderen religiösen Gemeinschaften und der wachsenden Gruppe nichtreligiöser Menschen Religionsfreiheit garantieren.

Deshalb setzt sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NRW für die Umwandlung der Bekenntnisgrundschulen in Gemeinschaftsgrundschulen ein.

Wir Säkulare Grüne fordern daher den Landtag NRW auf, zusammen mit der Grünen Fraktion die Landesverfassung zu ändern, um die Diskriminierung zu beenden.
Die Chance besteht JETZT!

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