Antrag an die 6. Vollversammlung der des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne: Streichung des § 166 Strafgesetzbuch

Beschluss der Mitgliederversammlung der Säkularen Grünen NRW im 22.02.2015

Antrag an die 6. Vollversammlung der des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne

Streichung des § 166 Strafgesetzbuch (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen)

  1. Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass die Strafvorschrift über Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§166 StGB) ersatzlos gestrichen wird.
  2. Wir fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die GRÜNE Fraktion im Bundestag auf, hierzu umgehend die nötigen Schritte zu unternehmen.

Begründung

Nach § 166 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.1

Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Gruppierungen wie Parteien, Gewerkschaften oder gesellschaftlichen Vereinen wird den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften über § 166 StGB damit ein über die allgemeinen Bestimmungen – wie Beleidigung und Verleumdung – hinausgehender Schutz zuteil. Die Vorschrift dient nicht dem sozialen Frieden. Der Grundsatz, dass Strafrecht ultima ratio bei der Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte bleiben muss, wird nicht berücksichtigt.

Der geltende Tatbestand ist nicht in der Lage, Verletzungen der Meinungs- und Kunstfreiheit zu unterbinden. Zwar soll die Tathandlung des „Beschimpfens“ nur jene herabsetzenden Äußerungen umfassen, die durch Form und Inhalt eine besonders

verletzende Äußerung der Missachtung zum Ausdruck bringen. Auch muss die Beschimpfung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Dies soll in

des bereits bei einer bloß abstrakten Gefährlichkeit der Tathandlung vorliegen. Letztlich bleibt jede Auslegung der Vorschrift geprägt von der religiösen Überzeugung und Toleranz derer, die sich angegriffen fühlen, und derer, die die Äußerungen hinsichtlich ihres objektiven Aussagegehalts bewerten sollen.

Dies hat in der Praxis hat dieser Paragraph zu einer Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt. Denn der – nirgends definierte – „öffentliche Friede“ wurde niemals durch kritische Kunst bedroht, sondern durch religiöse oder politische Fanatiker, die nicht in der Lage waren, die künstlerische Infragestellung ihrer Weltanschauung rational zu verarbeiten.

Während aufgeklärte Gläubige keine Probleme mit satirischer Kunst haben und somit einen besonderen Glaubensschutz gar nicht benötigen, berufen sich gerade religiöse Fundamentalisten und Extremisten seit Jahrzehnten immer wieder auf § 166 StGB, um die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit einzuschränken. Die hier zum Vorschein kommende Kritikunfähigkeit sollte vom Gesetzgeber nicht zusätzlich befördert werden. Borniertheit, Intoleranz und Humorlosigkeit sind keine Rechtsgüter, die unter Schutz gestellt werden sollten.

Zwar fallen die Verfahren wegen Straftaten, die sich auf Verunglimpfung von Religion und Weltanschauung beziehen, gegenüber der allgemeinen Kriminalität kaum ins Gewicht. Die negativen Auswirkungen des § 166 StGB lassen sich indes nicht allein

an der Zahl der tatsächlichen Verurteilungen messen. Genug Anlass für eine Abschaffung der Vorschrift ist vielmehr bereits die Furcht vor gesellschaftlicher Stimmungsmache gegen Menschen, die ihre Grundrechte ihre Grundrechte wahrnehmen, und gar vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit all seinen Konsequenzen, die Menschen von der Wahrnehmung ihrer verfassungsgemäß garantierten Rechte abhält. So fördert §166 StGB erfolgreich Selbstzensur.

Nicht zuletzt wäre die überfällige Abschaffung des „mittelalterlichen Diktaturparagraphen“ (Kurt Tucholsky) auch eine angemessene rechtsstaatliche Reaktion auf die Einschüchterungsversuche militanter Islamisten („Karikaturenstreit“ von 2006, Attentat auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ vom Januar 2015). Denn mit einer ersatzlosen Streichung von § 166 StGB würde der Gesetzgeber unmissverständlich klarstellen, dass der Freiheit der Kunst in einer modernen offenen Gesellschaft höheres Gewicht beizumessen ist als den „verletzten Gefühlen“ religiöser Fundamentalisten.

UN
Mit der Streichung von § 166 StGB käme der deutsche Staat auch einer wichtigen Forderung des UN-Menschenrechtskomitees nach. Dieses erklärte nämlich 2011, dass „Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich Blasphemiegesetzen, mit dem Vertrag [gemeint ist der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“, ICCPR] inkompatibel“ seien [Human Rights Committee: General comment No. 34, CCPR/C/GC/34, §48].2

Europarat
Auch die Venedig-Kommission des Europarats hat es »„weder für notwendig noch für wünschenswert erachtet, einen Straftatbestand der einfachen religiösen Beleidigung (also der Beleidigung religiöser Gefühle) ohne das Element der Aufstachelung zu Hass als einer wesentlichen Komponente zu schaffen“. Nach ihrer Auffassung sollte der Straftatbestand der Blasphemie abgeschafft, zumindest jedoch nicht wieder eingeführt werden«.3

1http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__166.html

2http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf

3http://merlin.obs.coe.int/iris/2009/1/article3.de.html

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