Der Wert von Religionen

Werner Hager, 24.2.2014

Der Wert einer Religion ist für einen Menschen, der sich zu dieser Religion bekennt, hoch. Menschen derselben oder zumindestens verwandter Religionen werden sich untereinander verständigen können, dass sie das gemeinsame ihrer Religionen wichtig finden, sich zu Religionsgemeinschaften zusammenschließen und diese für unterschiedlich wichtig befinden. Hier unterscheiden sich ja bereits Katholizismus und Protestantismus erheblich. Dennoch ist dieser Wert subjektiv, kann nicht erwarten, von Menschen anderer oder auch keiner Religion anerkannt zu werden.

Menschenwürde als humanistischer Begriff erklärt den Menschen zum Selbstwert. Dass die heutige Gesellschaft einen derartig humanistischen Konsens in ihren Gesellschaftsvertrag schreibt, ist eine zivilisatorische Errungenschaft, über deren Zustandekommen wir streiten mögen, hinter die wir aber nicht wieder zurückfallen wollen.

In den letzten Jahren trat nun mehrfach die Forderung auf, auch Religionen zum Eigenwert zu erklären. Religiöse Menschen sollten nicht etwa deshalb akzeptiert werden, weil sie Menschen sind, sondern aufgrund ihrer Religiösität. Sie sollten sogar – unabhängig von dem, was sie glauben und was dies für Auswirkungen hat – respektiert werden. Eine Position, die sich von der Verantwortungsethik völlig distanziert.

Hier schimmert durch, dass religiöse Menschen und Religionsgemeinschaften ihre Ruhe vor Kritik haben sollen. Die Religionskritik des alten Atheismus, der mit Gotteswiderlegungen und dem Vorwurf des Priestertruges arbeitete, ist auch wirklich ein abgenagter Knochen. Angriffe auf die historische Rolle der Religionsgemeinschaften wie sie beispielsweise Deschner in seiner „Kriminalgeschichte des Christentums“ formuliert, sind zwar teils notwendig, um Mythen zu zerstören, können aber über die Bedeutung von Religionen letztlich nichts sagen. Ärgerlich für die Religionsgemeinschaften ist Religionskritik wie sie Feuerbach formulierte, der Religionen nicht verdammt, sondern erklären kann. Überhaupt hat die Theologie große Probleme, auf materialistische Kritik zu reagieren.

Aber der Ruf nach Anerkennung des Wertes der Religion kommt nicht nur von Religiösen. Deren Versuche, ihre eigene Bedeutung zu belegen, führt auch häufig eher in Widersprüche und gesellschaftlich durchaus fruchtbare neue Debatten. Gefährlicher ist, wenn dieser Ruf von Nichtreligiösen aufgestellt wird. Und hier ergibt sich die Frage, warum dies erfolgt. Karl Marx erklärte es für grausam, Menschen in Mangelbedingungen ihre Religion zu nehmen, die eben als Opium des Volkes das karge Leben etwas erträglicher machte. Diese Argumentation hat in unserer Postmangelgesellschaft an Bedeutung verloren.Eine machtorientierte Argumentation wäre, dass in Religionskriegen nach einer Friedenslösung gesucht wird, die dem Frieden die Freiheitsrechte der Einzelnen zu opfern bereit ist. Aber dies passt nicht zu Westeuropa. Eine konservative Position wäre, dass Religion eben für die Masse notwendig sei und nur wenige über das geistige Potential verfügten, sich hiervon zu lösen, oder über kein religiöses Bedürfnis verfügten.

Dass jemand sich bemüht hat, ist bekanntermaßen nicht unbedingt ein Lob. Insofern ist auch die Aufopferung für eine Religion an sich nichts, was unsere Gesellschaft wertschätzen kann. Die Basis der Wertschätzung muss schon eine von allen akzeptierte Ethik sein. Und wenn diese auch die große Zahl nichtreligiöser Menschen umfassen soll, so kann diese nur eine universalistische Ethik darstellen.

Als Säkulare halten wir Säkularität für eine bedeutende Errungenschaft, die ein Leben in Frieden und Freiheit ermöglicht. Wir wollen einen religionspolitisch neutralen Staat, der Religionen weder fördert noch diskriminiert. Wir wollen eine Soziale Infrastruktur, die allen offensteht, und ein säkulares Rechtssystem. Auf der Ebene des Umganges mit Menschen, die nicht dem eigenen Bekenntnis angehören, vielleicht religiös sind, agnostisch oder auch atheistisch, sollte schlicht dasselbe gelten wie für den Umgang mit jedem anderen Menschen: Erst einmal sollten wir zuhören, den Argumenten folgen und schauen, ob diese stichhaltig sind. Danach können wir beurteilen, mit welcher Persönlichkeit wir es zu tun haben. Ein Mensch, der allerdings ausschließlich fremdbestimmt argumentiert, unfähig ist, eine eigene autonome Persönlichkeitsbildung vorzunehmen, wird dies nicht erfüllen.

Wer fordert, dass Religionen, die die Persönlichkeit ihrer Gläubigen vollständig zerstören, wie dies beispielsweise bei einigen „Sekten“ der Fall war, irgendein Wert zugesprochen wird, hat sich jedenfalls selbst diskreditiert und kann nicht mehr damit rechnen, selbst respektiert zu werden.

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