Die offene Universität und ihre FreundInnen

Zwischen dem 23. Mai und 24. Juni waren im Foyer der Universitätsbibliothek Bochum studentische Poster aus der Anglistik ausgestellt, in denen die Erzähltechniken und Inhalte von zwölf Graphic Novels erläutert wurden. Als Ende der Ausstellung war Ende Juli anberaumt.[1] Nachdem es bereits mehrfach zu „hitzigen Unmutsäußerungen“[2] gekommen war, hängt eine muslimische Studierende am 17. Juni das Poster mit Darstellungen aus Craig Thompsons „Habibi“ aufgrund „verletzter religiöser Gefühle“ ab. Das Plakat zeigte unter anderem eine Vergewaltigungsszene und daneben die Aufschrift „Allah“. Albert Bilo, Direktor der Universitätsbibliothek, hatte im Vorfeld mehrfach angeboten, Kontakt zu dem Dozenten herzustellen. Das Plakat wird nicht wieder aufgehängt.

Dieselbe Studentin hängt am 24. Juni in Gegenwart von 20 weiteren Personen ein Poster mit Abbildungen aus „Exit Wounds“ von Rutu Modan ab und zerstört es mit einer Schere. Die Überreste übergibt sie einer Mitarbeiterin der Bibliothek. Modan ist eine Sympathisantin der israelischen Friedensbewegung, in Exit Wounds beschreibt sie Alltagsszenen in Israel vor dem Hintergrund der täglichen kriegerischen Gewalt des Nahostkonflikts. Auf dem Plakat zu sehen waren israelische FriedensdemonstrantInnen, die ihre Taschen packen. Auf ihren Schildern steht in Englisch und Hebräisch „Beendet die Besatzung!“, einen arabischen Schriftzug schnitt die Studentin heraus. Darüber, was herausgeschnitten wurde, gehen die Meinungen auseinander – laut dem ersten Artikel der Taz habe es sich um die Aufschrift „Shalom“ gehandelt, laut einem späteren Artikel einfach um das arabische Pendant zu den anderen Schildern.

Die Ausstellung wird daraufhin mehr als vier Wochen vor der Zeit abgebrochen („um einige Tage verkürzt“). Es werden zwei offizielle Stellungnahmen veröffentlicht, eine am 3. Juli[3], welche nach einer Senatssitzung am fünften Juli aktualisiert wird, und eine am 10. Juli[4]. In beiden Stellungnahmen wird damit argumentiert, man habe die Nutzer der Universitätsbibliothek zu schützen und den normalen Bibliotheksbetrieb sicherzustellen gesucht, in der Ersten wird die Schließung außerdem noch damit begründet, man protestiere auf diese Weise gegen die erfolgte Zensur. Der Lehrstuhl für anglophone Studien ergänzt, „eine teilzensierte Ausstellung hätte als Eingeständnis der Schuld gewertet werden können, was auf jeden Fall vermieden werden sollte”.

Die Hochschule verzichtet zunächst auf weiterführende Maßnahmen, Anfang Juli wird die Studentin zwar durch die Hochschulleitung zu einem „eindringlichen Gespräch“ vorgeladen, weitergehende juristische Schritte werden jedoch nicht eingeleitet. Sie kommt der Vorladung nicht nach.

Juristische Konsequenzen haben ihre Handlungen erst, als der Essener Rechtsanwalt Marc Grünebaum Strafanzeige erstattet[5]. Es handele sich „um einen Angriff auf die Meinungs- und Kunstfreiheit durch eine religiöse Eiferin“, und damit „um die Verletzung bedeutender verfassungsrechtlicher Schutzgüter – umso mehr als dieses an einer an einer öffentlich-rechtlichen Hochschule erfolgte“, so Grünebaum in seinem Schreiben an die Staatsanwaltschaft. Zudem liege eine Sachbeschädigung vor.

In der zweiten Stellungnahme wird bekanntgegeben, dass nun auch die Hochschule Strafanzeige erstattet habe. Es soll ein wissenschaftliches Kolloquium zum Thema „Hochschule und Meinungsfreiheit“ organisiert werden. Beide Collagen, also auch die zu “Exit Wounds”, sollen nun vom Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster auf Anstößigkeit überprüft werden.

Die Mitgliederversammlung der Säkularen Grünen NRW hat am 26.10. beschlossen:

  1. Die erfolgte „vorauseilende“ Selbstzensur durch Abbruch der Ausstellung spottet jedes Freiheitsgedankens. Besonders, da die (angebliche) Verletzung „religiöser Gefühle“ kein Argument für Zensur und gegen wissenschaftliche Arbeit sein kann und darf.
  2. Die Straftat sowie das hieraus enstehende Bedrohungsszenario, haben hier (leider) erfolgreich gewirkt, anstatt Widerstand zu bewirken. Dies dient nicht dem Frieden, sondern der Motivation von NachahmungstäterInnen.
  3. Beschämend für die Universität Duisburg-Essen ist abschließend, dass sie zu ihrem pflichtgemäßen Verhalten (Strafanzeige etc. pp.) erst durch Berichte und Handlungen Dritter förmlich „getragen“ werden musste.

Wir fordern daher die Universität Duisburg-Essen auf, die Aufarbeitung nicht nur der außeruniversitären Öffentlichkeit und den Strafgerichten zu überlassen, sondern durch einen qualifizierten internen Diskussionsprozess zu begleiten und eindeutige politische Positionen zu formulieren, die der Wissenschaftsfreiheit und der gesellschaftspolitischen Verantwortung der Universität Duisburg-Essen genügen. In Anbetracht der Bedeutung der angesprochenen Ereignisse halten wir das angedachte Kolloquium nicht für ausreichend; eine Positionierung des Senats ist erforderlich.

Maßgeblich für einen derartigen Diskussionsprozess wäre in unseren Augen insbesondere die Klärung der Frage, wieso eine Akademikerin ein derartiges Risiko bereit war einzugehen.

Woher stammt ihre offenbar vorhandene Bereitschaft, ihre Karriere zu gefährden? Oder war ihr vorher klar/signalisiert worden, dass das Ausüben einer derartigen politisch motivierten Straftat den sozialen und politischen Rückhalt nicht gefährden würde?

Quellen:

[1]http://www.uni-due.de/~hy0555/weblog/inhalt/ausstellung-what-comics-can-do-recent-trends-graphic-fiction

[2]http://nachrichten.rp-online.de/regional/streit-um-comic-ausstellung-an-universitaet-essen-1.3502711

[3]http://www.uni-due.de/de/presse/meldung.php?id=8107

[4]http://www.uni-due.de/de/presse/meldung.php?id=8124

[5]http://www.derwesten.de/staedte/essen/strafanzeige-gegen-studentin-nach-eklat-bei-comic-schau-in-der-uni-essen-aimp-id8134702.html#222053787

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