Bericht: Die Linke und der Islam: Erlebnisse der Ohnmacht gegenüber der Islamischen Revolution

Eine Veranstaltung „Die Linke und der Islam. Erlebnisse der Ohnmacht gegenüber der islamischen Revolution im Iran 1979“ am 2.12.2017 war angedacht als Gegenüberstellung einer Perspektive aus Sicht eines iranischen Exilanten – Dr. Farshid Feridony – und eines Zeitzeugen der Studierendenschaft in Frankfurt und Aktivisten in der Iran Solidarität – Detlev zum Winkel. Die Veranstaltung sollte das Bewusstsein dafür schaffen, woher die heutigen Konflikte der Linken im Umgang mit Islam und Kopftuch stammen, woher eine Ohnmacht im Umgang mit diesem Thema stammt.

Doch Farshid Feridony wählte statt des politisch-historischen Ansatzes einen historisch-kritischen Ansatz. Er argumentiert, dass die Kooperation der Tudeh-Partei mit den Mullahs wie die heutigen Probleme der Linken mit diesem Thema nicht alleine aus der Entwicklung einer Linken infolge der Oktoberrevolution erklärbar ist, sondern etwas wesentlich Grundlegenderes nicht stimme: Der Marxismus habe sich von der auf Emanzipation ausgerichteten kritischen Theorie des Karl Marx gelöst. Karl Marx habe zu seiner Zeit auf der Höhe seiner Zeit den antiken Atomismus, die spekulative Philosophie Hegels, die Religionskritiken der Junghegelianer und den Materialismus Feuerbachs verarbeitet und kritisiert und eine Theorie der Praxis konkreter Menschen geschaffen, die je nach Stand ihres theoretischen Bewusstseins zu unterschiedlichen Entwicklung des Umgang von Menschen mit ihrer inneren und äußeren Natur führen konnte, die als Produkt menschlicher Tätigkeit begriffen würden. Bereits der späte Engels, der sich mit Naturwissenschaft und Mathematik beschäftigte, habe jedoch einen abstrakten Materialismus gegen den Idealismus gestellt, Sein und Bewusstsein so getrennt und damit die dialektische Totalität von Subjekt und Objekt zerteilt. Diese Naturdialektik eliminiert das Subjekt und ersetzt die Dialektik durch eine Wechselwirkung der Materie, die sich letztlich doch zielgerichtet bewege. Hiermit sei Engels in einen Positivismus verfallen, bei dem Sozialismus nicht als Ergebnis konkreter Kämpfe, sondern als vorgegebenes – teleologisches – Ergebnis der Naturprozesse automatisch erreicht würde.

Diese Zerteilung habe zu der auch immer noch wirkmächtigen Entstehung eines positivistischen metaphysischen „dialektischen Materialismus“ und eines stufenförmig ablaufendes „historischen Materialismus“ geführt, für die jeweils das öffentliche Bewusstsein, Religion und auch Bedingungen wie die Verelendung des Proletariats ohne Bedeutung seien. Historische Notwendigkeit ersetzte die konkrete Praxis der Menschen im Ringen um Emanzipation und auch die Klassenkämpfe, aus denen die konkreten als immanente Subjekte hervorgingen. An ihre Stelle sei die Forderung nach einer Industrialisierungspolitik und damit einer Forcierung kapitalistischer Entwicklung getreten.

In der Zweiten Internationalen, die nur wenige von Karl Marx Werken kannte und dessen Werk von dem Friedrich Engels nicht trennte, hätten sich Sozialdemokratie und Kommunismus entlang der Frage des Privateigentums an Produktionsmitteln getrennt. Bei Lenin sei der Sozialismus bereits auf die Formel der Elektrifizierung des Landes und Gründung der Sowjets gebracht worden. Als die Selbstorganisationen der Arbeiterbewegung nicht bereit waren, die Durchsetzung dieser harten Industrialisierungsmaßnahmen mitzutragen, wurden sie wie die Opposition vor ihr eliminiert. So entwickelte sich der „Marxismus-Leninismus“.

Bruderparteien entstanden, auch im Iran. Die Tudeh-Partei wurde 1941 gegründet, wobei von Anfang an religiöse Elemente sichtbar waren. Die Partei orientierte sich offiziell am „Marxismus-Leninismus“ und damit a) an einer Zusammenarbeit mit der Sowjetunion in einer bipolaren Weltordnung, b) einer Einheitsfront mit der nationalen Bourgeoisie gegen die Kompradorenbourgeoisie, die als Handlanger der globalen Imperialismus gesehen wurde, c) an einer „nichtkapitalistischen“ Produktionsweise, die sich als Verstaatlichung des Bankwesens und des Bergbaus ausdrückte sowie einer Weltanschauung, in der der Kommunismus als Schicksal und Endresultat der menschlichen Geschichte propagiert wurde. 1953 wurde die Tudeh-Partei nach der Operation Ajax verboten.

Doch den verheerenden Wirkungszeitraum sieht Farshid Feridony im Vorfeld der Revolution Ende der 70er Jahre. Hier unterstützte die Tudeh-Parteir bald Chomenei, unterstützte auch dessen vermeintliche Sichtbarkeit im Vollmond – eine abergläubische quasi-Heiligendarstellung.

Die Tudeh-Partei hofierte einen angeblich progressiven Teil des Islamismus, der als antiimperialistisch angesehen wurde: Die Geistlichkeit um Chomeini. Tudeh stellte sich gegen die damalige provisorische Regierung, die gegen geistliche Revolutionsgerichte agiert hatten und stellten sogar Chalchali, den bekannten Scharfrichter dieser Gerichte, als Präsidentschaftskandidat auf. Auf die provisorische Regierung folgte der Revolutionsrat, der aus überzeugten Anhängern Chomeinis bestand und für die Errichtung eines Gottesstaates eintrat und die Sharia einsetzen wollte.

Hiergegen bestand kaum nennenswerter Widerstand im Iran, aber auch nicht im Exil. Die Unterstützung der Geistlichkeit wurde von Anfang von Seiten der Tudeh an als Mittel für politische Zwecke betrachtet. Ein Beispiel hierfür stellen 1965 die Studenten der Konföderation im Exil dar, die sogar einen Brief an Chomeini schrieben, ihm ihre volle Unterstützung zusichern und den Brief religiös mit einem Bezug auf den Heiligen Krieg einleiteten und sich in einer theologischen Frage positionierten. Zu einem Zeitpunkt, in dem Adorno in Frankfurt die kritische Theorie lehrte und Alfred Schmidt, Backhaus, Negt, Reichelt und andere bei ihm lernten, bezogen sie sich positiv auf ein reaktionäres religiöses Bezugssystem. Islamismus wurde schlicht nicht als Gefahr betrachtet, nationale Befreiungsorganisationen z. B. in Vietnam/Algerien hingegen als
Vorbild. Eine Ursache hierfür sieht Farshid Feridony in den Dependenztheorien dieser Zeit. So versagte die intellektuelle Elite des Irans und wurde zu Anhängern Chomeneis.

Besonders deutlich wird dies in den Heften der Zeitschrift Donya, in denen sich zeigt, wie sich der Marxismus-Leninismus mit dem Islamismus verbindet. Farshid Feridony benennt vier Kategorien:

1. Theorieentwicklung: Dies zeigt sich methodisch beispielsweise in der Entwicklung des Materialismus durch den Chefideologen der Tudeh Partei in einer abstrakten Form unter ausdrücklichem Bezug auf Engels und Lenin. Diese beiden hätten eine materialistische und eine sensualistische Tendenz verkörpert. Diese sieht er dann in der Tudeh-Politik sowie der Politik des vermeintlich progressiven Teiles der Geistlichkeit um Chomeini und deren Einsatz für die Umma, die er mit dem Kommunismus gleichsetzt. Er plädiert so für eine volkstümlich antiimperialistische Ordnung mit einer progressiven islamischen Ideologie. Mit dem Konzept einer freien Assoziation der Arbeiter bei Marx, in der die Vernunft herrscht, hat dies nichts mehr zu tun. Bei Marx geben sich Menschen selbst ihre Gesetze, in der islamischen Ordnung gehen die Herrschaft und die Gesetze ausschließlich von Gott aus. Auch in Werken über Ästhetik plädiert derselbe Chefideologe für einen sowjetischen Realismus der Stalinzeit und für einen islamistischen Realismus, der sich in der Zeit des Iran-Irak-Krieges um Revolutionsexport, Zerstörung Israels, Märtyrertum, Erscheinung des 12. Imams drehte. Sie unterstützen so in den Worten Adornos eine islamistische Kulturrevolution.

2. Religion: In Anbetracht der religiösen Vielfalt inklusive verfeindeter islamistischer Sekten sollte für Farshid Feridony eine Partei säkular und damit zumindest neutral bleiben und sich keiner Religion verpflichtet fühlen. Aber stattdessen wird vom Chefideologen der Tudeh-Partei beispielsweise das Märtyrertum gewürdigt und sogar behauptet, Marx habe sich für eine islamische Revolution ausgesprochen und den Islam gewürdigt. Die Geistlichkeit wird desweiteren in einem Artikel in eine Gruppe von Betrügern und eine der wahren Geistlichkeit zerlegt. Dabei rekurriert die erstere Bezeichnung letztlich auf die Forderung nach einer Todesstrafe, die für den Abfall vom Islam besteht. In den anderen Teil sei der Geist von Imam Ali eingetreten sei. Eine Vorstellung, die von Sunniten abgelehnt wird.

3. Ökonomie: Hier wird nachzuweisen versucht, dass islamische Ökonomie mit der Ökonomie des Ostblockes kompatibel sei. Beides seien nichtkapitalistische Entwicklungswege. Probleme werden in der imperialistische Einbettung (Montageindustrie) und Arbeitsteilung, nicht jedoch in den Lohnarbeitsverhältnissen, Warenfetisch usw. gesucht. Es wird für eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion geworben.

4. Politik: Die Tudehpartei bot dem Revolutionsrat ihre Hilfe beim Kampf gegen den Imperialismus an. Dieses Angebot umfasste Spionagetätigkeit und Denunziation der Opposition. Oppositionelle wurden als Anhänger des alten Schahregimes und 5. Kolonne des Imperialismus und Zionismus, aber auch gleichzeitig mit religiösen Bezeichnungen für Abtrünnige und Zwietrachtsäende bezeichnet, verfolgt und ermordet.

Aber 1983 wurde die Tudeh-Partei aber selbst des Staatsstreiches bezichtet, ihre Mitglieder verfolgt, häufig ermordet.

Farshid Feridony resümmierte, dass bei der Marxschen Konzeption ein immanentes Subjekt bestehe, auch wenn eine Priorität des Objektes vorliege. Das Objekt sei eben subjektiv errichtet worden. Staat, Gesellschaft, Natur seien durch die Menschen hervorgebracht. Die Welt ist eine gegenständliche, Produkt selbst entfremdeter Tätigkeit. Die Welt könne durch Selbstbewusstsein geändert werden und dieses entstehe wiederum durch Praxis. Die späte Fehlinterpretation Engels habe jedoch das immanente Subjekt aus dem Bewusstsein eliminiert. Eine vorbestimmte universelle Geschichtskonzeption ersetzt die Möglichkeit durch die Notwendigkeit.

Da diese Konzeption auch bei den iranischen Linken vorgelegen habe, bestand auch keine Notwendigkeit, die Religion zu kritisieren. Ein Bündnis mit dem Islamismus gegen den Imperialismus wurde denkbar und die iranische Linke wurde zum Opfer ihrer eigenen Politik.

Bei Marx sei Kritik als Waffe konzipiert gewesen, bei Engels sei diese Waffe aus der Hand gelegt worden. Der Grund der Ohnmacht liege in dem falsch entwickelten Materialismus.

Farshid Feridony endete mit dem Zitat, dass die Kritik der Religion die Voraussetzung aller Kritik bleibe.

Der Vortrag von Detlef zum Winkel liegt schriftlich vor und wurde mittlerweile auf https://jungle.world/blog/2017/12/die-linke-und-die-islamische-revolution veröffentlicht. Daher wird auf einen Bericht verzichtet.

Bericht/Protokoll: Werner Hager, Tino Shahin

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