Bericht der Veranstaltung am 27.4. zum Kirchlichen Arbeitsrecht

MatthäusM2Warum dürfen ein geschiedener Arzt oder eine geschiedene Ärztin, angestellt in einem katholischen Krankenhaus, nicht wieder heiraten? -Das kirchliche Arbeitsrecht auf dem Prüfstand-

Vortrag und Diskussion auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), des forum politik Köln und der Säkularen Grünen NRW am 27.04.2015 im DGB-Haus, Hans-Böckler-Platz, Köln

Auf die Titelfrage antworteten – erstaunlicherweise wenig kontrovers, aber mit unterschiedlichen Akzentuierungen – Ingrid Matthäus-Maier (SPD, ehemalige Verwaltungsrichterin, GerDiA-Sprecherin und langjährige Bundestags- und Europa-Abgeordnete), Wolfgang Cremer (ver.di, Fachbereichsleiter Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen in NRW) und Ralph Welter (Diözesanvorsitzender im Bistum Aachen der Katholische Arbeiterbewegung/KAB und hauptberuflich Volkswirtschaftsdozent):  Weil die Kirche es nicht  will und das Bundesverfassungsgericht ihr bislang Recht gibt! 

Ingrid Matthäus-Maier stellt in ihrem Eingangsreferat am 27.4.2015 im DGB-Haus Köln die rechtlichen Zusammenhänge dafür dar und legt die politischen Hintergründe offen, die sie selbst über die letzten 40 Jahre unmittelbar miterlebt hat.

Gesellschaftliche Realität und richterliche Entscheidungen fallen im kirchlichen Arbeitsrecht weit auseinander. Die Ursachen seien im politischen Bereich zu suchen, insbesondere bei konservativen Parteien, aber nicht nur! Häufig haben sich Regierungsparteien bei der Gesetzgebung unterhalb des Grundgesetzes von kirchlichen Lobbyisten die Hand führen lassen und damit Richtersprüche in Einzelentscheidungen möglich gemacht, die  – sehr unterhaltsam vorgetragen von Ingrid Matthäus Maier – klingen, als kämen sie aus einem anderen Jahrtausend. Erschreckend ist nur, dass selbst der Gang zum Bundesverfassungsgericht, auch wenn er in einigen Fällen erfolgreich war, keine generelle Verbesserung bewirkt hat. Sogar Niederlagen des Bundesverfassungsgerichtes beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof rütteln die deutschen Gerichte nicht nachhaltig auf. Auch haben sie bislang nicht zu Korrekturen der Arbeitsgesetzgebung geführt.  Um eine klare Gesetzgebung im Sinne der Beschäftigten zu verhindern, bieten kirchliche Arbeitgeber im Konfliktfall den gekündigten homosexuellen oder geschiedenen MitarbeiterInnen einen gerichtlichen Vergleich mit Abfindungen an, den der/die Gekündigte aus der wirtschaftlichen Notsituation heraus meist annimmt.

Wie ist das zu erklären und zu beurteilen?

Das Grundgesetz besagt in Artikel 137 Abs. 3 : „Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken  des für alle geltenden Gesetzes“ .  Aus der Formulierung „ordnet und verwaltet“ hat sich durch Richterrecht  allmählich die juristische Auslegung entwickelt, es handele sich bei GG Artikel 137 um ein grundgesetzlich garantiertes allgemeines Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.  Von Verteidigern dieser Auffassung wird zusätzlich gern auf eine entsprechende Tradition verwiesen, die schon in der Weimarer Verfassung bestanden habe. Das allerdings trifft nicht zu.

Die Verweigerung des Streikrechts und der im GG Art. 4 garantierten Glaubensfreiheit, die bekanntlich auch Freiheit zum Nichtglauben heißen kann, wird von den Kirchen als Sonderrecht in Anspruch genommen. Sie interpretieren das Individualrecht auf Glaubensfreiheit als ein Kollektivrecht, mit dem sie ihren Beschäftigten bürgerliche Freiheiten vorenthalten dürften.

Ralph Welter vom KAB schließt sich dieser Beurteilung insofern an, als er es für unakzeptabel hält, per Arbeitsrecht in die persönlichen Lebensverhältnisse der Beschäftigten hineinzuregieren. Zumal dies sehr unterschiedlich gehandhabt werde. Mitarbeiter müssen bei Geschäftsführerwechsel fürchten, dass das, was vorher toleriert wurde, künftig als Kündigungsgrund genommen werden könnte. Auch die geübte Praxis bei Einstellungen in kirchlichen Hochschulen,  der fachlichen Qualifikation geringere Bedeutung beizumessen als der Vorlage von mindestens drei kirchlichen Referenzen, die den einwandfreien katholischen Lebenswandel belegen, erteilt er schon aus seiner Sicht als Volkswirt und Wissenschaftler eine klare Absage. Soweit die Individualrechte der ArbeitnehmerInnen betroffen sind, sieht er keinen Dissens, allerdings würde er das Koalitionsrecht als Teil der kollektiven Arbeitnehmerrechte kritisch betrachten. Im Gegensatz zu einem Betriebsrat werde in der Wirklichkeit vor Ort die kirchliche Mitarbeitervertretung im Rahmen des sogenannten „Dritten Weges“ oft tatsächlich noch als Dienstgemeinschaft gelebt. So habe sie manchmal sogar Vorbildcharakter insofern als es in kirchlichen Einrichtungen weniger Zeitarbeit gäbe. Diese Errungenschaften sollten nicht leichtfertig aufgegeben werden.

Wolfgang Cremer von Ver.di nennt Zahlen, die die Relevanz der heutigen Fragestellung belegen: in NRW sind die Kirchen der größte Arbeitgeber. Mehr als zwei Drittel aller Krankenhäuser in NRW sind kirchlich, die meisten davon katholisch geleitet. Verschärft werde die Situation dadurch, dass NRW auch noch die meisten katholischen Hardliner im Klerus aufweise. Gewerkschaftliche Betätigung in kirchlichen Einrichtungen werde extrem erschwert, die Teilnahme von Ver.di an Versammlungen sei meist nicht möglich. Es gäbe auch kaum Möglichkeiten, auf gesetzlich verbriefte Rechte zu verweisen, denn sowohl die Koalitionsfreiheit als auch das Streikrecht werde in Deutschland durch sogenanntes Richterrecht geregelt. Die Kirchenvertreter argumentierten gegen das Streikrecht ihrer MitarbeiterInnen mit dem Einwand, Gott könne man nicht bestreiken. Darauf antwortet Cremer mit: Ja, aber sein Bodenpersonal. In kirchlichen Einrichtungen herrsche heute der gleiche knallharte Umgang mit Personal wie in anderen Betrieben, längst gelte nicht mehr, was 1951 die Kirchen noch als Argument gegen die Übernahme des Betriebsverfassungsgesetzes anführten. Damals behaupteten sie, dass kirchliche Einrichtungen keine wirtschaftlichen Betriebe seien.

Was kann man tun?

Abschließend stellten die Podiumsteilnehmer ihre Feststellungen noch in einen größeren politischen Zusammenhang, der auch gleichzeitig aufzeigte, wo säkulare Gruppen in Parteien und Organisationen ansetzen müssen.

Der Staat ziehe sich aus seinen sozialen Aufgaben immer mehr zurück und verlagere diese auf die Kirchen. Nur noch 35-40 Krankenhäuser in NRW seien in öffentlicher Trägerschaft, es würden immer weniger Kitas und Altenheime von den Kommunen betrieben, weil sich die öffentliche Hand zum  armen Träger erklärt;  dabei hat sie sich durch die Steuerpolitik erst arm gemacht. Der Weg der Übergabe öffentlicher Krankenhäuser in kirchliche Trägerschaft ende oft, nachdem auch die Kirchen sich über die Abrechnung mit den Krankenkassen nur unzureichend finanzieren können, bei der Privatisierung. Mit allen negativen Folgen für die Mitarbeiter und die Patienten.

Was die Situation von Beschäftigten angeht, die aufgrund eines Verstoßes gegen die katholische Moralvorstellung ihren Job verlieren, warnt Ingrid Matthäus-Maier  jedoch vor einem Schnellschuss in Richtung einer Änderung des GG-Artikels 137. Er müsse lediglich so angewendet werden, wie er wörtlich formuliert ist. Sie zeigte sich beeindruckt von einer  – übrigens von einem grünen Stadtratsmitglied erfundenen – Maßnahme: die Vergabe von öffentlichen Aufträgen werde in Osnabrück nur noch an Unternehmen oder Träger vergeben, die sich an das Grundgesetz halten.

Außerdem müsse in Kommunen darauf geachtet werden, dass dem Subsidiaritätsprinzip in dem Sinne Geltung verschafft werde, wie es bei seiner Einführung 1961 beabsichtigt war. Damals wurde in der Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Abgabe von  öffentlichen Aufgaben an kirchliche oder andere Träger ein vielfältiges Angebot sichergestellt bleiben müsse. Dass es an einem Ort am Ende nur noch kirchliche Kindergärten gäbe, war eindeutig nicht vorgesehen.

Ralph Welter wehrt sich gegen die zunehmende Funktionalisierung von Religion, der entschieden entgegen getreten werden müsse. Es gäbe bereits Unternehmensberater, die die Wertegebundenheit von kirchlichen Unternehmen als einen ertragssteigernden Faktor einordnen würden. Sie spielten also mit dem Helfersyndrom vieler Christinnen und Christen, die oft zu unentgeltlicher Zusatzarbeit bereit seien. Damit habe man sich vollends von dem Ursprungsgedanken des Dritten Weges entfernt.

In der folgenden Diskussion wurde von Lale Akgün beklagt, dass die Parteien immer mehr auf die Religionsgemeinschaften setzen, wenn es gilt, gesellschaftliche Aufgaben, wie z.B. die Integration anzugehen. Das geschehe im Widerspruch zu dem großen Anteil von konfessionell und religiös nicht Gebundenen oder Nichtgläubigen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, auch unter Migranten übrigens.

Von grüner Seite wurde ergänzend darauf hingewiesen, dass die Erlangung des Körperschaftsstatus für die muslimischen Religionsgemeinschaften absehbar dazu führe, dass neue Wohlfahrtseinrichtungen entstehen werden, denen kaum verwehrt werden könne, auch ein eigenes Arbeitsrecht nach dem Vorbild des Dritten Weges zu beanspruchen, das dem eigenen Personal Grundrechte versage oder die Einstellung von Mitarbeitern von der Befolgung bestimmter religiöser Moralvorstellungen abhängig mache.

Ingrid  Matthäus-Maiers Schlusswort machte deutlich, dass die Säkularen  dieser Republik einiges an Kampfkraft und Durchhaltevermögen zeigen müssen, denn es habe noch nie eine derart klerikale Regierungsmannschaft gegeben wir zurzeit. Kaum einer der Minister/Ministerinnen habe auf die Gottesformel bei der Vereidigung verzichtet.  Die meisten führenden Politiker – selbst bei den Grünen – seien kirchlich gebunden oder sogar aktiv im Zentralkomitee der Katholiken bzw. im protestantischen Pendant dazu. Das erkläre, warum Parteitagsbeschlüsse beispielsweise zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen nicht umgesetzt werden.

Fatos Aytulun (SPD), Wally Röhrig(SPD), Brigitte Beckmann (SPD)  und Gisela Weih (Säkulare Grüne NRW), zogen im Anschluss eine positive Zwischenbilanz der bisherigen Kölner Veranstaltungen zu Fragen der Demokratie und des Rechts, von denen diese die zweite mit grün-säkularer Beteiligung war. Fortsetzungen sind von beiden Seiten erwünscht und eine weitere Vernetzung mit anderen Gruppen soll vorangetrieben werden.

Bericht: Gisela Weih

 

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