Der Kommunitarismus entwickelte sich in Abgrenzung vom Liberalismus. Gleichzeitig wurde auf der einen Seite eine akademischen Kritik an John Rawls Theorie der Gerechtigkeit formuliert, auf der anderen Seite eine Gegenkonzeption zum vermeintlichen Individualismus zu der durch Reagan und Thatcher forcierten neoliberalen Politik entwickelt.
In unserem Fachgespräch am 31. August zeichneten wir daher zuerst die Entwicklung des Liberalismus nach. Wir beschäftigten uns insbesondere mit der Entstehung des Kapitalismus, Naturrecht und Vertragsrecht bei
Lockes und Hobbes, den Moral- und Wirtschaftstheorien Smith‘ und Ricardos, den Konzepten von Gewaltenteilung bei Rousseau und Montesquieu und der liberalen Philosophie Kants.
Mit dieser Grundlagen rissen wir die Theorie John Rawls an, insbesondere das Konzept des Schleiers der Unwissenheit. Von diesem aus können – ohne Kenntnis des eigenen Standortes in der Gesellschaft – Entscheidungen über den Aufbau einer gerechten Gesellschaft erst gefällt werden.
Wir diskutierten über die Differenz zu libertaristischen Ansätzen einerseits, die jede Form von Umverteilung als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte ablehnen, sowie zu den UtilitaristInnen
andererseits, die Umverteilung zugunsten des abtrakten Wohls der Gesamtgruppe zuließen.
Rawls hingegen akzeptiert Ungerechtigkeiten nur solange kein für alle besserer Zustand erreichbar ist, akzeptiert dabei allerdings auch Umverteilungen.
John Piggott hielt ein einführendes Referat in den Kommunitarismus, das sich an Werken des politisch wirkungsmächtigen Amitai Etzioni orientierte. Danach begannen wir das Buch „Kommunitarismus“ von Walter
Reese-Schäfer zu besprechen. Dabei behandelten wir Sandels ursprüngliche Kritik an Rawls, die dieser als Kritik des ungebundenen Selbst bezeichnete.
Die Kritikpunkte an der liberalen Konzeption des abstrakten Individuums waren dabei durchaus plausibel. Allerdings will der Kommunitarismus an die Stelle des zu Recht beklagten atomisierten Individuuums die
Gemeinschaften stellen. Seine Kritik richtet sich daher nicht gegen die Atomisierung, die die Individuen von ihrer gesellschaftlichen Einbindung entkoppelt, sondern gegen den Verlust an Gemeinschaftlichkeit.
Argumentiert wird gegen Rawls, dass die Individuen den notwendigen Zusammenhalt nicht mehr zustande brächten. Diese Kritik ist gegenüber dem amerikanischen Libertarismus auch durchaus tragfähig, wird aber
darüber hinausgehend gegen das Individuum selbst gewendet.
Desweiteren stiegen wir noch in die Theorie Charles Taylors ein, der mit „A Secular Age“ das religionspolitisch zentrale kommunitaristische Werk herausbrachte. Mit diesem wollen wir uns bei unserem nächsten Fachgespräch beschäftigen.
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