Das Interview führt Tala Hariri mit dem Blogger Schmalle
Hallo Schmalle, vielen Dank, dass Du Dir heute die Zeit für ein Interview zur aktuellen Situation in NRW und Islamischen Religionsunterricht genommen hast. Wir wollen heute über Islamische Verbände und deren Rolle in der neuen Kommission sprechen.
Du arbeitest ja schon lange an dem Thema. Wie siehst Du die neue Kommission im Vergleich zur alten Zusammensetzung, insbesondere in Bezug auf die Wiederaufnahme DITIBs?
Die Probleme bezüglich der DITIB sind seit Jahren die Gleichen, diese haben sich auch mit der letzten Satzungsänderung der DITIB NRW nicht grundlegend geändert. DITIB untersteht direkt der türkischen Religionsbehörde DIYANET in Ankara, welche wiederum durch den türkischen Präsidenten kontrolliert wird. Das D in DITIB steht für DIYANET, man kann also sagen, dass DITIB schlichtweg DIYANET in Deutschland ist. In diesem Fall zu denken, dass sich ein Landesverband von diesen Strukturen selbstständig einfach lösen kann, ist zumindest sehr fragwürdig. Der Bonner Staatsrechtler Professor Isensee hält die Neuerungen für „unwirksam“, laut Isensee hat die neue Satzung „keine Wirkung gegenüber der türkischen Staatsgewalt“. Die DITIB-Imame sind weiter Beamte des türkischen Staates, der sie bezahlt und ausbildet. Sie sind somit Beamte des AKP- und MHP-Regimes. Das alleine stellt für mich persönlich ein Ausschlusskriterium dar. Ich würde soweit gehen und sagen: wer mit DITIB an einem Tisch sitzt, sitzt indirekt auch mit Erdogan und Ali Erbaş an einem Tisch, dem Vorsitzenden der DIYANET. Erbaş ist bekannt für seine antisemitische Propaganda. Genauso hetzt Erdogan regelmäßig gegen Israel. Auch die Unterstützung der islamistischen Hamas durch die AKP, zeigt deren Verstrickungen in den internationalen Islamismus. Hat sich die DITIB jemals klar und deutlich gegen DIYANET oder Erdogan gestellt, sich distanziert oder gar deren antisemitische Äußerungen in Frage gestellt? Vielmehr noch ist DITIB in einflussreichen Teilen straff auf Linie der AKP, das hat auch der Besuch der DITIB-, Milli Görüs- und ATIB-Führung Ende April 2021 bei Erdogan gezeigt. Derartige Strukturen erhalten durch den islamischen Religionsunterricht Mitbestimmungsrecht bei Kindern und Jugendlichen in Schulen in der Republik. Das ist untragbar.
Du hast Milli Görüs und ATIB erwähnt – könntest Du uns erklären, weshalb diese beiden Organisationen problematisch sind und ob Du der Ansicht bist, dass auch deren Arm bis in die neue Kommission reicht?
ATIB ist eine Abspaltung der faschistischen Grauen Wölfe Bewegung. Die ATIB ist der größte Mitgliedsverein im Zentralrat der Muslime (ZMD). Nun ist der ZMD und somit auch ATIB in der neuen Kommission richtigerweise nicht mehr vertreten. Dieser überfällige Schritt wird aber ad absurdum dadurch geführt, dass eben die rechte DITIB als auch die Islamische Religionsgemeinschaft NRW vertreten ist, die dem Islamrat angehört, dessen größter Mitgliedsverein die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist, die die Mehrheit der Mitglieder stellt. Die IGMG wird weiterhin in Teilen dem legalistischen Islamismus zugerechnet. Die Milli Görüs-Bewegung in der Türkei ist die Mutterbewegung des türkischen Islamismus und gilt als türkischer Ableger der Muslimbruderschaft. Nun kann man die Islamismus-Vorwürfe gern zur Seite wischen, wie es Teile des deutschen Sicherheitsapparates machen, dennoch wird nach kurzer Recherche klar, dass auf dem Facebook-Auftritt der IGMG der Gründer der Milli Görüs-Bewegung, der Antisemit Erbakan, genauso glorifiziert wird wie ein Necip Fazıl Kısakürek, einst glühender Rassist und Antisemit, dessen internationale Vorstellungen heute die Außenpolitik der AKP bestimmen. Selbst wenn die IGMG nicht legalistisch-islamistisch wäre, so repräsentiert sie zumindest ein reaktionäres Islamverständnis, eine rigide Geschlechtertrennung und weitere Aspekte, die m.E. grundlegenden pädagogischen Standards unseres Schulsystems diametral entgegenstehen. Wer mit Milli Görüs für den Religionsunterricht kooperiert, der kann auch mit Evangelikalen und christlichen Sekten Schulunterricht gestalten. Auch das ist untragbar.
Wie meinst Du, wirkt sich eine derartige Kommission, wie sie nun gebildet wurde, auf den Islamischen Religionsunterricht an unseren Schulen aus?
Ich denke, dass die genannten Verbände daran beteiligt werden, die religiösen Inhalte des Unterrichtes auszuarbeiten. Meines Wissens nach müssen sich künftige Lehrer*innen auch eine Art „Absegnung“ bei der Kommission holen. Natürlich stellt sich hier die Frage, wie eine DITIB oder IGMG, in deren Gemeinden eine rigide Geschlechtertrennung propagiert wird, zur sexuellen und körperlichen Selbstbestimmung stehen. Ich verfolge regelmäßig im Internet eine männliche Jugendgruppe der DITIB Oberhausen, wo der Leiter dieser Gruppe in stundenlangen Videos mit apokalyptischen Verlautbarungen vor Intimitäten und Sexualität vor der Ehe warnt. Während das deutsche Schulsystem ein Zusammenkommen der Geschlechter und verschiedenen Genderidentitäten vorsieht, müssen wir bei DITIB und der IGMG von einem mittelalterlichen Religions- und Menschenbild sprechen, das den grundlegenden Säulen der Schulpädagogik klar entgegensteht. Das sind nicht nur Parallelstrukturen, sondern klare Gegenstrukturen. In diesem Kontext gilt es natürlich genauso Sexual- und Körpervorstellungen der römisch-katholischen Kirche zu kritisieren. Auch diese haben meiner Meinung nach nichts an einer staatlichen Schule zu suchen. Auch die Haltung zu den kanonischen Quellen, Koran und Sunna, ist in Reihen der DITIB und IGMG nicht auf Individualität und möglichem Zweifel aufgebaut. Vielmehr kann man in weiten Teilen hier von einem Buchstabenglauben reden: auswendig lernen und rezitieren. Eine Auseinandersetzung mit kritischen Fragen bezüglich der Theologie findet m.E. kaum bis gar nicht statt. Welche Art von mündigen Bürger*innen sollen aus einem Unterricht hervorgehen, dessen Inhalte Verbände wie DITIB mitgestalten, die grundlegende Inhalte wiederum von Fundamentalisten der DIYANET erhalten? Das ist doch eine Farce.
Siehst Du Alternativen zu den genannten Organisationen für eine zukünftige Kommission? Könnte es eine Kommission ohne DITIB und IGMG geben?
Die Frage ist, was Bund und Länder wollen. Diese denken nämlich, dass man Kirchenrecht und Strukturen einfach den muslimischen Communities überstreifen kann. Demnach kann nur der Ansprechpartner sein, der möglichst viele Mitglieder hat und somit eine Art Repräsentanz widerspiegelt. Mal davon abgesehen, dass der Großteil der Muslim*innen in Deutschland nicht organisiert ist und die Verbände durch fragwürdige Gutachten eine Allgemein-Repräsentanz sein wollen, die ich persönlich nicht sehe, so muss man sich doch die Frage stellen, ob es nur um Quantität oder vor allem auch um Qualität und Verantwortung geht? Weder der Liberal-Islamische Bund (LIB) noch die Vereinigung um den liberal-islamischen Vordenker Khorchide scheinen für die Kommission in NRW berücksichtigt worden zu sein. Diese beiden Gruppen hätten zumindest ein Islamverständnis, welches klar auf dem Boden der Menschenrechte und im Einklang mit den pädagogischen Mindeststandards steht. Im LIB sind sogar Frauen Imam*innen, wodurch der LIB wohl sogar progressiver aufgestellt ist als die römisch-katholische Kirche. Alleine die Signalwirkung durch eine Berücksichtigung des LIBs wäre ein wichtiges Zeichen für die muslimischen Communities als auch die nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft gewesen. So sind wir wieder an dem Punkt, dass in weiten Teilen konservative und reaktionäre Islam-Strukturen im Fokus stehen. Das ist unverantwortlich.
Herzlichen Dank für die ausführlichen Antworten! Bis bald!
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