Interview mit Schmalle zur Macron-Rede zum islamistischen Separatismus

Interview mit dem Blogger Schmalle zur Rede vom 2. Oktober 2020. Das Interview führte Werner Hager

Der französische Präsident Macron wendete sich am 2. Oktober 2020 in einer Rede an die Nation. Thema war der ‚islamische Separatismus‘. Was ist Inhalt der Rede Macrons?

Macron will gegen islamistische Parallel- bzw. Gegengesellschaften vorgehen. Dazu fordert er eine stärkere Kontrolle des Bildungssektors und mehr Transparenz darüber, was in Moscheen und Vereinen gepredigt und gelehrt wird. Ziel ist es vor allem, den Heimunterricht zu unterbinden und die Bildung allumfassend wieder in die Hand des Staates zu übergeben. Auch will man sich nun genauer die Finanzierung islamischer Einrichtungen anschauen, dabei wird man meines Erachtens schnell auf Netzwerke der islamistischen Muslimbruderschaft und Katar stoßen, das heute neben dem AKP-Regime als sicherer Rückzugsort der Bruderschaft gilt.

Am 7. Januar 2015 fand der Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris statt. Auch am 25. September 2020 wurden Menschen in der unmittelbaren Nähe des Verlagsgebäudes angegriffen. War diese Rede eine Reaktion auf diesen Angriff?

Ich denke, dass der französischen Regierung schon deutlich länger logische Zusammenhänge zwischen islamistischer Radikalisierung und Problemfeldern im Bildungs- und Sozialbereich bekannt sind. Man kann Strategien nicht von heute auf morgen ausarbeiten, trotzdem können besondere Vorfälle die Veröffentlichung natürlich beschleunigen. Leider kommt es immer wieder vor, dass der Kampf gegen den islamistischen Klerikal-Faschismus einzig als Reaktion verstanden wird und oftmals Symptompolitik gleicht. Dahingehend ist es wichtig, präventiv zu arbeiten. Die Missstände sind klar, nun braucht es eine internationale Lösung. Was heute in Frankreich passiert, kann morgen auch bei uns stattfinden. Natürlich ist die französische Gesellschaft nicht mit der deutschen vergleichbar, insbesondere Zustände in den Banlieues. Die letzten Jahren haben aber gezeigt, dass Islamisten aus Frankreich ebenso in Belgien und der Bundesrepublik vernetzt sind. Dem sollte Rechnung getragen werden.

Macron benutzt den Begriff der Gegengesellschaft gegenüber der Republik und ihren Werten und Gesetzen. Er benennt Ideologien und Projekte als die Herausforderung. Er beschreibt mit Beispiel Katar eine ganze konkurrierende Infrastruktur gegenüber der staatlichen Infrastruktur. In Deutschland ist der Begriff des legalistischen Islamismus ja gerade erst aufgenommen worden. Ist die französische Auseinandersetzung weiter als die deutsche Debatte?

Ja, es wäre auch erschreckend nach 250 Opfern islamistischer Anschläge in den letzten Jahren, wenn man da nicht weiter wäre. Die Gewalt ist derart massiv, dass man reagieren muss, und diese Reaktion muss den Ursprung der Barbarei aufdecken. Islamistische Gewalt fällt genauso wenig aus den Bäumen wie rechtsterroristische Anschläge. Islamismus beginnt nicht da, wo der Attentäter zur Waffe greift, sondern bereits da, wo einige konservative Vertreter*innen islamischer Verbände Gotteslästerung unter Strafe stellen wollen. Genauso wie Stephan Balliet nur die bittere Spitze einer rassistischen Gedankenwelt verschiedenster Bewegungen ist, so sind auch Islamisten keine Menschen von einem anderen Planeten. Der legalistische Islamismus verfolgt die gleichen Ziele wie Dschihadisten, die einen Gottesstaat revolutionär erkämpfen wollen. Einzig die Art und Weise wie dies erreicht werden soll, unterscheidet diese beiden Spielarten des religiösen Fundamentalismus. Der legalistische Islamismus verzichtet auf physische Gewalt und unterwandert Institutionen und inzwischen sogar einige antirassistische Bewegungen.
Solange auch in Deutschland legalistische Islamisten, zu denen ich auch viele Organisationen zähle, die durch die AKP kontrolliert werden, am Tisch mit Bund und Ländern sitzen, betreiben wir sehenden Auges eine Zerstörung der Demokratie.

Du forderst einen internationalen Ansatz. Aber wie sieht es überhaupt mit Reaktionen auf den Vorstoß aus? Gibt es eine europäische Solidarität oder steht Macron alleine?

Es gibt keine internationale Solidarität in dem Maße, dass man zusammen Konzepte erarbeitet, die über die bekannten Symptome hinausgehen. Deutsche Politiker*innen veranstalten Demonstrationen gegen den Terror, bekommen kaum das Wort Islamismus über die Lippen und stehen dann Arm in Arm mit Aiman Mazyek auf der Bühne, der bis Ende 2019 eine Organisation in seinem Zentralrat geduldet hat, die der Muslimbruderschaft nahe stehen soll. Vor dem Mord an Samuel Paty soll der Islamist Abdelhakim Sefrioui eine der Personen gewesen sein, die gegen Paty vor allem im Internet mobilisiert haben. Sefrioui soll der Muslimbruderschaft nahe stehen. Solange die Netzwerke nicht international aufgedeckt und geächtet werden, wird nichts passieren. Dazu gehört auch, das AKP-Milieu in Deutschland mit allen demokratischen Mitteln zu bekämpfen. Die AKP ist der türkische Ableger der Muslimbruderschaft, nicht umsonst finden Hamas-Terroristen in diesem Regime eine neue Heimat. Moschee-Vereine, die durch die AKP und die türkische Religionsbehörde Diyanet kontrolliert werden, sind somit ebenso Teil des Problems. Hier müssen wir über DITIB, genauso wie über ATIB oder Milli Görüs sprechen. Solange hier keine Distanz geschaffen wird, brauchen wir gar nicht erst nach Frankreich gucken oder von internationaler Solidarität sprechen.

Macron schlägt vor, staatliche Mittel an eine Verpflichtung auf die Werte der Republik zu knüpfen. Wäre dies kein Mittel, welches auch in anderen europäischen Staaten eingefordert werden könnte? Ähnlich der aktuellen Debatte zur Rechtsstaatlichkeit in der EU?

Ich bin kein Fan von nationalen Werten. Stattdessen sollten die Menschenrechte und humanistische Grundprinzipien betont werden. Diese sind nations- und religionslos, weder östlich noch westlich, sondern universell. Und ja, diese sollten wir deutlich offensiver formulieren als auch in den Bildungseinrichtungen lehren. Aus pädagogischer Sicht hat man einen ähnlichen Vorgang wie beim Erlernen des Fahrradfahrens: einmal einstudiert vergisst man die grundlegenden Techniken nicht mehr. Zu diesen „Techniken“ gehört die individuelle Freiheit, das körperliche wie auch sexuelle Selbstbestimmungsrecht als auch das Recht auf Gotteslästerung. Aus der blutigen Erfahrung Europas mit einer politischen Kirche aus den letzten Jahrhunderten, sollte auch klar sein, dass eine konsequente Trennung von Politik und Religion einen Stabilitätsfaktor darstellt. Wenn ich mir derzeit die Grünen in Berlin anschaue, zweifele ich an deren historischem Wissen. Hier müssen wir ansetzen und offensiv zeigen, dass keinerlei religiöse Symbole etwas im Staatsdienst verloren haben. Dafür brauche ich keinen nationalen oder republikanischen Wert, einzig ein Blick in die Geschichte.

Was meinst Du, sollten Säkulare und auch die säkularen Grünen tun, um Macrons Anliegen zu unterstützen?

Alle Formen des Islamismus, auch die der Vorfeld-Ideologien, klar benennen und entsprechende Organisationen konsequent vom Steuertopf abschneiden. Es kann nicht sein, dass Feinde der Freiheit durch ein liberales Staatssystem noch gefördert werden. Islamismus beginnt nicht beim Salafismus, sondern da, wo Menschen wie Maschinen orthodoxen Dogmen folgen, statt sich ihres individuellen Verstandes zu bedienen. Wo ein Gottesbild gepredigt wird, das das Individuum entmündigt und die Welt in schwarz/weiß, Freund oder Feind zeichnet. Das muss in die Debatte, darüber müssen wir sprechen. Insbesondere progressive antifaschistische Kräfte, die sich seit jeher als antiklerikal verstanden haben. Und ja, dabei gilt es auch, größtmögliche Distanz zu rechtspopulistischen Stimmungsmachern zu schaffen, die die Islamismus-Thematik für ihre rassistische Programmatik instrumentalisieren.

Ich danke Dir für das Interview!

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