Israel und die Freiheit vom Antisemitismus

Stephan Grigat (links) AM 27.11.2014 in Erkelenz

Warum beschäftigen sich die Säkularen Grünen mit Antisemitismus und was hat das ganze mit Israel zu tun?
Die erste Teil der Frage beantwortet sich von alleine, denn der Antisemitismus in der Moderne ist, anders als der christliche oder auch arabische Antijudaismus, ein Phänomen der Säkularisierung, die zur Entwicklung der Moderne hinzugehört.
Den zweiten Teil der Frage beantwortet Dr. Stephan Grigat damit, dass es ein Fehler sei, den Nahostkonflikt zu behandeln, als gebe es keinen Antisemitismus, und den Antisemitismus, als gebe es keinen Nahostkonflikt.
Grundfehler sei, dass mehrheitlich in Europa angenommen wird, der Nahostkonflikt würde Antisemitismus erzeugen, obwohl dieser vom modernem Antisemitismus hervorgerufen würde.
Stephan Grigats neues Buch Die Einsamkeit Israels beginnt daher auch mit der Entstehungsgeschichte Israels und dem eben nicht zustande kommenden Friedensprozess. Der Hauptteil des Buches behandelt das Verhältnis der Linken – von der KP Israels bis Jakob Augstein und Judith Butler – wendet sich kurz der Rechten zu und stellt dann die nukleare Bedrohung Israels an den Abschluß.
Die Veranstaltung in Erkelenz stand in einem Kontext mit den antiisraelischen Demonstrationen Mitte des Jahres, hierfür ist die Einleitung „Isreal und die Kritik des Antisemitismus“ wesentlich. Kritik des Antisemitismus geht es Grigat „nicht darum, den Antisemiten zu ‚verstehen‘, was stets die Gefahr der Rationalisierung und letztlich der Entschuldigung implizieren würde, sondern um die Verunmöglichung des Antisemitismus und seine ideologiekritische Dechiffrierung, die zeigt, dass es nicht einfach ein gegen Juden gerichteter Rassismus“ sei. Der Antisemitismus revoltiere „gegen das Prinzip subjektloser Herrschaft und die als Zumutung und Bedrohung empfundene Abstraktheit von Ökonomie und Politik“. Während die jüdische Religion für die Antisemiten einerseits von verstocktem Traditionalismus geprägt sei, andererseits aber auch wegen ihrer Vermittlung von Vernunft und Glaube gehasst werde, würden Juden als Verkörperung von Zivilisation und Modernität, Intellektualität und Individualität attackiert.
Die wahnhafte Projektion der AntisemitInnen richte sich gegen die „Herren des Geldes“, deren Vernichtung sie anstrebten. Sie richte sich aber auch gegen die als illegitim begriffene jüdische Staatlichkeit.

Wichtig zur Bekämpfung bzw. Zurückdrängung des Antisemitismus ist für Stephan Grigat, gesellschaftliche Verhältnisse herbeizuführen, die ein Mindestmaß an individueller und Selbstreflektion und zur Erfahrung fähiger Mündigkeit aufrechterhalten. Dabei sollten allerdings immer die Grenzen der Aufklärung beachtet werden. Die wissenschaftliche Debatte neige hingegen zu einer Antisemitismusbewirtschaftung, die mit Adornos emphatischem Diktum, alles zu tun, damit Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts zu tun habe.

Der Zionismus sei eine Reaktion auf den Antisemitismus, eine universalistische Entscheidung für die partikularistische Lösung, in der bestehenden Welt einen Zufluchtsort für JüdInnen zu schaffen, solange die Welt vom Antisemitismus so stark geprägt sei. Hierin unterschieden sich auch säkulare und nationalreligiöse ZionistInnen nicht.

Trotz einer praktisch-politischen Nützlichkeit sei der Ansatz der „3 Ds“ (Doppelstandards, Dämonisierung, Delegitimierung) keinesfalls hinreichend, um sich mit der antisemitischen Kritik am Staat Israels auseinanderzusetzen.

Für alle, die sich für das Thema und insbesondere die geschichtliche Dimension interessieren, sei das Buch in der Reihe konkret Texte empfohlen:
Grigat, Stephan: Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung. Hamburg 2014

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