Positionspapier Werner Hager für den 10.11.13
Bei der Frage der Zukunft der staatlichen Leistungen an die Religionsgemeinschaften stellt sich die Frage, was denn genau das gesellschaftspolitische Ziel der Förderung sein und durch welche Förderung dies erreicht werden soll.
Eine bürgerliche Gesellschaft benötigt Bürgerinnen und Bürger. Genau hier stoßen wir aber in Deutschland auf ein vormodernes Verständnis des Bürgertums:
Während in der Moderne bürgerliche Subjekte selbständig und reflektiert die Funktionen von Citoyen und Bourgeois erfüllen können, in dem sie sich um ihre ökonomischen Belange kümmern und gleichzeitig auch politische Subjekte darstellen, ist in vormoderner Zeit politische Vorstellung teils noch unmittelbares ökonomisches Interesse, teils sogar schlicht traditionell und auch religiös vermittelt. Während sich die Moderne in permanentem sozialen Wandel befindet, träumt die Vormoderne den Traum des ewig Gleichen.
In Zeiten, in denen die Moderne offen in Frage gestellt wird, vermengt sich (vermeintlich) postmodernes mit vormodernem und stellt so die Basis dessen in Frage, was Moderne und modernes Subjekt ausmachen.
Längst atomisierte Menschen suchen nach Sinn, ohne die gesellschaftliche Komponente mitzudenken, gehen auch zurück zu den Religionen, die ihnen noch Heimat versprechen. Dies stellt jedoch auch die Theologie in Frage, denn dieser ungeglaubte Glaube, der sich seiner Instrumentalisierung bewusst ist, hat mit dem Wahrheitsanspruch der Religionen nichts mehr zu tun, ist ganz offen Opium des Volkes, eben nicht Opium der Priester.
Der Staatsrechtler Böckenförde weist zu Recht darauf hin, dass der Staat selbst seine gesellschaftlichen Wurzeln nicht reproduzieren kann. Dies müssen andere machen: Tatsächlich zeigt die heutige verwaltete Welt, dass die Technokratie eine hohle Gesellschaft hervorbringt, deren Individuen eben nicht mehr fähig sind, zu reflektieren, Kritik zu üben und die Gesellschaft dadurch weiterzuentwickeln.
Ein Fehler ist es, jetzt wieder allein auf die Religionsgemeinschaften zu setzen. Der gesellschaftliche Zerfall ist von diesen nicht reflektiert worden, sie stehen ihm selbst hilflos gegenüber. Eine Stärkung der Religionsgemeinschaften würde hingegen all die individuellen Rechte, die Freiheiten zu Kritik und Reflexion abbauen, die das Leben für einen modernen Menschen lebenswert machen.
Die heutige Gesellschaft benötigt aber mehr Orte, an denen Menschen über grundlegende Fragen nachdenken und sich austauschen können und dies kann Religionsgemeinschaften, die sich zur Moderne bekennen, beinhalten. Eine moderne Gesellschaft hat Wurzeln, die verdörren, wenn sie nicht permanent reproduziert werden. Werden Republik und Demokratie als Formalismen aufgefasst, so verkennt dies, dass Modernität gelebt und erlebt werden muss und zwar gleichmassen von Gläubigen und Nichtgläubigen, von Mitgliedern von Religionsgemeinschaften wie Konfessionslosen. Hier liegt der Konflikt zur Konservierung der tradierten Gemeinschaften im immer wieder aufflackernden Kommunitarismus.
Subjekte, die in der Moderne leben können, müssen deren Grundlagen stetig neu entwickeln. Ohne Kenntnisse von Rationalität und Humanismus wird eine moderne Welt verrohen und letztlich in die Barbarei fallen.
Wenn es also darum geht, zu überlegen, wie die traditionell begründeten Kirchenleistungen umgebaut werden können, sollten diese aufhören, als Selbstzweck oder rein über Tradition begründet zu sein. Kirchliche Institutionen erfüllen viele wichtige gesellschaftliche Funktionen, die dem Sport, der Erziehung, dem Sozialen, der Wohlfahrt oder auch der Denkmalpflege zugesprochen sind. Diese Leistungen können mit einem Gewinn an Transparenz schlicht auf deren Haushaltsposten umgewidmet werden.
Es gibt aber noch einen inneren Bereich, den Böckenförde als „sinnstiftend“ bezeichnet. Dieser Bereich lässt sich säkular als Herausbildung von Persönlichkeit bezeichnen. Er ragt darüber hinaus in die politische Sozialisierung und Willensbildung. Während der zweite Teil durchaus bereits staatlich gefördert wird, fehlt eine Förderstruktur – die gleichzeitig gesellschaftliche Akzeptanz und Wertschätzung mit sich bringt – für Maßnahmen zur Herausprägung gefestigter, reflektierter und artikulationsfähiger moderner Individuen, die erst die Rolle der Citoyen einnehmen können.
Aachen, 6.11.13
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