Transparenz in der Dunkelkammer?

Antrag an die Sitzung der LAG Säkulare Grüne NRW am 29.09.2018 in Köln
Werner Hager, Diana Siebert
17.09.2018

Transparenz in der Dunkelkammer?

*Die Aufarbeitung und Bekämpfung sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche geht uns alle an*

Die Nichtaufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche (im Folgenden einfach „katholisch“) wird in der nordrhein-westfälischen Gesellschaft noch immer allzu sehr als eine Sache angesehen, mit der sich die katholische Kirche vorwiegend selbst zu befassen habe – bis hoch zum Vatikan.

Diejenigen, die in der katholischen Kirche sind, denken dies, weil es eben ihre Kirche ist.

Diejenigen, die dieser Kirche nicht angehören, denken, dass der sexuelle Missbrauch durch die katholische Lehre und Praxis – Zölibat, Vertrauen in Geistliche, Beichtgeheimnis – ja offensichtlich gefördert wird, und daher /deren/ Problem sei. Die Rede davon, dass „Religion Privatsache ist“, führt bei manchen sogar dazu zu denken, dass ja niemand gezwungen sei, einer solchen Kirche anzugehören.

Doch sexueller Missbrauch ist ein gesamtgesellschaftlich und staatlich zu bekämpfendes Problem!

Die Nichtaufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche hat System: Ein hierarchischer Organisationsaufbau ohne Kontrollinstanzen und ein Vertrauen vieler Gläubiger in eine kirchliche Paralleljustiz, die vom Aufbau her Prozesse verschleppt und Transparenzforderungen hintertreibt.

Wenn wir Säkulare uns zu Vorgängen in der katholischen Kirche äußern, dann äußern wir uns über eine Institution, die nicht nur den Selbstanspruch der moralischen Überlegenheit formuliert. Dieser Anspruch wird zudem nicht nur von Gläubigen, sondern auch von der übrigen Gesellschaft weitgehend akzeptiert. Staatliche Organe beteiligen die Kirchen gerade bei ethischen Entscheidungen. Und sogar bei rechtlichen Fragen werden Kirchen immer noch auf Augenhöhe behandelt, anders als jede andere Organisation.

Als Säkulare wollen wir, dass auch die katholische Kirche eine Organisation wie jede andere nach bürgerlichem Recht sein soll. Eine Organisation, die auch eine eigene Schiedsgerichtsbarkeit haben kann. Die katholische Kirche ist jedoch eine Struktur mit einem eigenen Staat
(Vatikan), sie ist ein eigenes Völkerrechtssubjekt (Heiliger Stuhl), und ihre nationalen Organisationen in Deutschland werden als Körperschaft
des öffentlichen Rechtes angesehen. Sie verfügt über ein Gerichtswesen und baut auf dem „kanonischen Recht“ auf. Das kanonische Recht ist insbesondere für den Katholizismus das Kirchenrecht, also im Gegensatz zum Religionsverfassungsrecht („Staatskirchenrecht“) ihr Binnenrecht.
Diese Rechtsprechung ist – zumindest im öffentlichen Ansehen – mehr als nur Schiedsgerichtsbarkeit. Die innerkatholischen Gerichte fällen eben auch bei sexuellem Missbrauch Urteile – sofern überhaupt ein Gericht angerufen wird, denn die Ehrfurcht vor den kirchlichen Institutionen stärkt insgesamt auch die Dunkelziffer bei sexuellem Missbrauch.

Darüber hinaus können sich die anerkannten Religionsgemeinschaften in Deutschland auf ein besonderes kirchliches Arbeitsrecht beziehen, bei
welchem die kirchlichen Arbeitgeber Angestellte ohne Begründung entlassen dürfen; einerseits dies, andererseits die Angst der Arbeitnehmer*innen vor Sanktionen (wie z.B. Entlassung oder Versetzung) führen zu einer zusätzlichen Erhöhung der Dunkelziffer beim sexuellen Missbrauch.

Als Säkulare wollen wir, dass öffentliche Gerichte nach dem allgemeinen Recht urteilen. Und zwar gerade dann, wenn es um Missbrauchsfälle mit Minderjährigen als Opfer geht.

Insbesondere sollen die Herrschaftsstrukturen, die derartige Vorfälle ermöglichen, öffentlich herausgearbeitet werden.

Auch wenn katholische Gerichte selbst keinen Vorrang vor staatlichen Gerichten beanspruchen, besteht hier eine Paralleljustiz. Und vor allem ein Vertrauen in deren Institutionen. Ein Vertrauen, welches so groß ist, dass diesen die Aufarbeitung überlassen wird.

Das Vertrauen in kirchliche Strukturen ist in der Praxis fast ungebrochen. Diese Strukturen können nicht nur dadurch auf Zeit spielen, sie verhindern gleichzeitig die Ausweitung der Verjährungsfristen und lenken mit ihrer Medienmacht auf andere Missbrauchsfälle ab – eine eigentlich aus ihrer eigenen Sicht unhaltbare Argumentation, da Kirchen ja auf der moralischen

Überlegenheit beharren und sich insofern eigentlich nicht mit anderen NGOs vergleichen sollten.

Ein Transparenzversprechen folgte hier dem nächsten, eingehalten wird jedoch kaum eines. Anders als in den Vereinigten Staaten – denen an dieser Stelle eine bessere Kontrolle durch Medien und Öffentlichkeit zuerkannt werden muss – wurde in Deutschland selbst ein unabhängiger Bericht über die Missbrauchssituation jetzt über Jahrzehnte verzögert.  Jetzt wurde deutlich, dass die Erstellung einer Studie über die Missbrauchsfälle der katholischen Kirche in Deutschland nicht nur nicht unabhängig war, sondern in manchen Bistümern ganz klar hintertrieben wurde und daher erhebliche Mängel aufweist. (1)

Die Idee einer Transparenz ist eben schon im Kern mit einer hierarchischen Struktur mit dem Jurisdiktionsprimat des Papstes (2) und unterhalb dessen einer alleinigen Legislative durch den Bischof des jeweiligen Bistums gar nicht denkbar, da es eben
Kontrollinstanzen außer dem Heiligen Stuhl nicht geben kann. Besonders zu betonen sind hier die Sitze der Bischöfe, die zusammen mit ihren Archiven und eben auch „Giftschränken“ außerhalb der übrigen Kirche stehen und damit jede Aufarbeitung hintertreiben können.

Absurderweise entgeht die katholische Kirche dem Vorwurf, hier strukturell Kriminalität zu fördern, ja sogar eine kriminelle Struktur zu sein, und zwar gerade durch ihren besonderen Status als Körperschaft. Statt als Körperschaft und Empfängerin staatlicher Leistungen besonders rechenschaftspflichtig zu sein, wird der Status als Vorrecht zur Verdunklung der eigenen Machenschaften gesehen.

Öffentlichkeit und Gesetzgeber sind gefragt, endlich genügend Druck auszuüben. Öffentlichkeit und Gesetzgeber sollen entweder Transparenz und Rechenschaftspflicht auf demselben Level wie bei staatlichen Stellen und damit auch gegenüber der Gesamtöffentlichkeit einfordern – und dies jeweils in der laufenden Legislaturperiode. Oder sie sollen – wie es Säkulare befürworten – das gesamte kirchliche Sonderrecht direkt (ganz) abschaffen. Die aktuell in Deutschland mehrheitsfähige und durchsetzbare Position ist jedoch: Keine Rechte ohne Pflichten. Und damit auch: Keine Sonderrechte ohne besondere Verpflichtungen.

Solange beides nicht erfolgt, sollte der Kirche ihr Anspruch, vertrauenswürdiger Träger von Jugendarbeit zu sein, erst einmal öffentlich entzogen werden. Dies heißt nicht, dass einzelne kirchliche Teilorganisation sich hierfür nicht qualifizieren können.

Über die katholische Kirche hinaus brauchen wir eine Debatte, wie viel Paralleljustiz wir in Religionsgemeinschaften und anderen nichtstaatlichen Institutionen benötigen und wünschen; also auch, einen wie großen Stellenwert nichtdemokratische und intransparente Strukturen (eben nicht nur speziell die Kirchen) gesellschaftlich überhaupt haben dürfen.

Diese Auseinandersetzung ist Teil der weit größeren Debatte über den Kommunitarismus, der die liberale Gesellschaft durch eine Gemeinschaft von Gemeinschaften auflösen möchte. Dies ist eine Bedrohung für das Konzept des Individuums und – wie sich hier am Missbrauchsfall zeigt – für besonders Schutzbedürftige.

Diese Debatte verweist aber auch auf praktische Fragen der Archivöffnungen (Stichworte Bring- und Holschuld).

Eine weitere Debatte sollte angesichts der überproportional hohen (bekannt gewordenen) Missbrauchsfälle in der römisch-katholischen Kirche klären, inwieweit das Zwangszölibat eine innerkirchliche Angelegenheit bleiben kann.

Säkulare Grüne fordern:

  1. Transparenzverpflichtung für alle Körperschaften des öffentlichen Rechtes
  2. Klärung der Rolle der Bischoftümer und ihrer Archive, Einforderung einer unabhängigen Studie über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche bis 2020 inklusive Dokumentation aller Schwierigkeiten, Material einzusehen.
  3. Vorgänge der Kirche dürfen nicht verdunkelt werden, sondern gehören in die UNMITTELBARE öffentliche Debatte. Konsequenzen müssen innerhalb weniger Monate eingefordert werden.
  4. Grundsätzliche Beschleunigung aller Verfahren, die sexuellen Missbrauch betreffen. Gerade sofern Minderjährige betroffen sind, sollten die Verfahren keinesfalls in die Länge gezogen werden und Opfer möglichst selten zur Aussage erscheinen müssen.
  5. Bruch des öffentlichen Rechtes, Vertragsbrüchigkeit und Nichteinhaltung von Zusagen müssen – wie bei jeder anderen Organisation auch – ein Ausschlussgrund für die Bewerbung für öffentliche Tätigkeiten und Beteiligungsrechte sein.
  6. EIN säkulares, allgemeines RECHT FÜR ALLE Menschen statt kirchliches Sonderrecht und andere Paralleljustizen.

(1) (2)https://de.wikipedia.org/wiki/Jurisdiktion_(Kirche
<https://de.wikipedia.org/wiki/Jurisdiktion_%28Kirche>)

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